Betrifft: Sendung „ritzelzähler und Warnwestenträger“ von Ralf Homann
in Bayern2Radio, Sendereihe Zündfunk Generator
Sehr geehrter Herr Homann,
Ihre Haltung gegenüber den Fahrradfahrer-/innen und dem Radverkehr ist kurzsichtig und unreflektiert. Sie versuchen, Fußgänger-/innen gegen Radfahrer-/innen auszuspielen. Das ist dumm und vor allem: sinnlos und unfair. Die Argumente, die Sie gegen das Radfahren aufführen, sind Wasser auf die Mühlen der AutofahrerInnenlobby. Das haben Sie sich wohl nicht bewußt gemacht, bevor Sie mit der Sendungsplanung begonnen haben.
Ich kann nur erahnen, warum Sie wirklich gegen das Radfahren sind. Ich sage jetzt nicht was ich Ihnen gegenüber als erstes gedacht habe als Sie wörtlich in der Sendung sagten: „…deshalb: Radfahrer raus aus der Stadt.“ Da kommt mir echt das Kotzen und wütend macht es mich auch. Dann treten Sie doch den Stadtplanungsverantwortlichen in Dänemark und Holland gegenüber! Sind Sie so mutig gegen diese Leute, die für einen erfolgreichen Radverkehr IN DER STADT gesorgt haben, mit Ihren Argumenten entgegenzutreten?? DAS möchte ich als überzeugte Fahrradfahrerin (gendern ist übrigens nicht verboten, nur so nebenbei) und ADFC-Mitglied sehen und hören!!!
Möglicherweise nervt Sie an den Radfahrer-/innen manches miese Verhalten wie das Sich-Zwischen-FußgängerInnen-Durchschlängeln, auf dem Gehweg fahren oder knapp vorbeisausen. Weil Sie meist Fußgänger sind. Das nervt mich als Fußgängerin an manchen Radler-/innen auch. Aber woher kommt es? Nicht unbedingt daher, dass vielen RadlerInnen die Fußgänger egal sind. Man muß genauer hinsehen. Oft liegt es daran, dass die Wegführung für RadfahrerInnen derart ungünstig sind dass man gezwungen ist, zumindest ein paar hundert Meter lang auf einem Gehweg auszuweichen. Verlangen Sie mal von AutofahrerInnen ständig, dass sie eine Umleitung, die einen wesentlich längeren Weg und damit mehr Zeitbedarf bedeutet, IMMER fahren zu müssen. Da wäre das Geschrei groß.
Es ist auch schwach, dass Sie nur eine Studie aus der Schweiz zitieren. Im Sendegebiet des Bayerischen Rundfunks und im Rest der Republik befinden wir uns nicht in der Schweiz. Daher kann diese Studie für Städte in Deutschland kaum oder gar nicht herhalten. Und der wahre Grund dafür, dass junge Leute in der Schweiz die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen liegt weniger (oder gar nicht) daran, dass diese NutzerInnen öffentlicher Verkehrsmittel so gern Straßenbahn oder Bus fahren. Es liegt nur daran, dass sie kostenlos WLAN nutzen können. Und der Vertreter dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts für Fußverkehr muß mächtig viel Zeit haben, wenn er für das Zu-Fuß-Gehen plädiert. Und immer einen Diener oder Dienerin, die oder der ihm die Sachen hinterherträgt. Nichts nervt mehr, wenn man z. B. Seine Einkäufe von der Haltestelle nach Haus schleppen muß. Außerdem ist man als NutzerIn öffentlicher Verkehrsmittel immer von einem Fahrplan und Abfahrtsort abhängig. Das nervt und kostet sinnlos Zeit.
Bevorzugen sie wirklich öffentliche Verkehrsmittel und Fußgänger-Sein?? Also volle Bahnen, stickige Luft und oft genug unfreundliche und boshafte andere Fahrgäste, die immer was zu nörgeln haben?? Ich nicht! Ich bin heilfroh, wenn ich mal nicht die Straßenbahn oder Bus nehmen muß! Und manchmal fehlt einem auch das nötige Kleingeld für öffentliche Verkehrsmittel (schwarzfahren ist auch keine Alternative).
Wer wenig Geld hat nimmt sich bei längerer Abwesenheit von zuhaus was zu Essen mit – und das ist ein Stück Gewicht, dass das Fahrrad besser trägt in der Satteltasche als der Rücken (auch wenn man das Rad mit eigener Kraft vorantreiben muß).
Heute abend werde ich im Nachbarort ein Laientheater besuchen. Die Nahverkehrsverbindung zeigt mir 7 Laufminuten an. Das dauert mir zu lange, weil auch nicht gesagt ist, ob ich es gleich und damit rechtzeitig finde (in diesem Ort ist idiotischerweise heute noch die Veranstaltung „Autofrühling.“) Nach dem Theaterstück werde ich dank Fahrrad schneller beim Bahnhof sein – und nicht zu selten habe ich oft noch einen früheren Zug dank Fahrradfahren bekommen und mußte keine Stunde dumm an einem blöden (Provinz)bahnhof rumsitzen. Radfahren ist sinnvoll, auch weil es ein guter und immer vorhandener (weil fahrplanUNabhängiger) Zubringer zum Bahnhof ist.
Wohl haben Sie sich nur Gedanken gemacht, was Sie an Radfahrer-/innen nervt. Warum machen Sie sich nicht Gedanken darum, was Sie an AutofahrerInnen nervt?? DAS Verhalten von Autofahrer-/innen ist wirklich nervend und oft genug auch tödlich!! Denn AutofahrerInnen sind die stärksten Verkehrsteilnehmer-/innen – und sollten sich gerade dies bewußt machen, um eben NICHT andere zu gefährden. Wie oft bin ich als Radfahrerin schon aus dem Autofenster heraus angeschrien worden. Leider hatte ich aufgrund der Überraschung keine passende Gegenwehr bereit. Der Polizei, vor allem der bayerischen ist das scheißegal. Auf die kann man pfeifen. Den Schaden, manchmal den körperlichen aber vor allem den psychischen hat die oder der Radfahrer-/in. Im Laufe der Jahre läßt sich eine Radikalisierung als Radfahrerin nicht vermeiden, vornehm ausgedrückt (wobei ich auch genug anständige AutofahrerInnen kenne).
Es wird immer nur auf die RadfahrerInnen geschimpft, als ob es nur rücksichtslose Fahrradfahrer-/innen gäbe. Es muß endlich in die Köpfe rein dass a)die rücksichtslosen Radfahrer-/innen auch andere RadlerInnen nerven und b)es keine Allgemeinverurteilung geben darf.
Und noch was zum Erscheinungsbild des Radfahrers (meist ist dieser männlich bei dieser Sache), das Sie kritisieren:
- Es wird auch in Radfahrer-/innenkreisen gern mal über die Funktionskleidungs-Träger gespottet. Eigentlich ist diese Kleidung für lange Distanzen des Radfahrens gedacht, also für Rennen oder Radreisen. Es sieht – da gebe ich Ihnen recht – seltsam aus, wenn solche Leute dann die Kleidung auch im Alltag tragen. Ist eben eine Frage, in was man sich wohlfühlt oder ob man meint, einem vermeintlichen Trend folgen zu müssen. Ich schmunzel drüber. Die müssen auch Geld haben, denn diese Kleidung ist teuer (und nicht unbedingt umweltfreundlich, weil Kunststoff) – was dafür spricht, dass eine bestimmte Gesellschaftsgruppe diese Kleidung gern trägt. Kleine Anekdote: bei einer Radtour durchs Schwarzatal in Thüringen wurde ich öfter verwundert (vielleicht sogar entsetzt) angeguckt, weil ich – ach KEINE Funktionskleidung – trug. Haha. Weil ich mich nach einem kurzen Ausprobieren von Funktionskleidung vor 10 Jahren dann doch für ’normale‘ Alltagskleidung entschieden habe: weil ich mich darin eben wohler fühle.
- Die ganzen Nerds wie Fixie-Fahrer (meist männlich) : man kann sie belächeln, über sie lästern. Ich war letztes Mal selbst in so einem Nerd-Laden, aber nur deshalb, weil dieser Laden im Auftrag einer Initiative ein Lastenrad verleiht. Sie werden es nicht glauben: manche dieser Nerds schauen auf solche schnöden und einfachen Radlerinnen wie mich herab. Doch es kümmert mich nicht. Ich sehe sie als gleichberechtigte an, weil sie ebenso für das Radfahren sind wie ich, manchmal sogar noch extremistischer. Es gilt eben das Nürnberger Sprichwort: „Der Herrgott hat ann großn Diergaddn.“ (Der Herrgott hat einen großen Tiergarten).
Außerdem: Fahrradfahrer-/innen SIND UMWELTFREUNDE UND -FREUNDINNEN. Auch wenn ein asphaltierter Weg auch schöner zu befahren ist als ein „naturbelassener Weg.“ Ein Radweg versiegelt weniger Fläche als eine Autostraße! Gut, über die Mountainbikerei kann man diskutieren, ob man jetzt unbedingt in den Bergen mit dem Rad rumfahren muß. Ich selbst fahre kein Mountainbike.
Gerne dürfen sie Fahrradfahrer-/innen kritisieren, Herr Homann. Aber dann bitte mit fundierterer Recherche und ohne verschiedene Gruppen – wie hier Radfahrer-/innen gegen Fußgänger-/innen – gegeneinander auszuspielen. Gut ist, dass Sie eine Vertreterin des ADFC mit in den Beitrag genommen haben.
Tip: fahren Sie doch mal mit einem ADFC-Mitglied durch Ihre Heimatstadt. Sie werden die ganze Vekehrslandschaft mit komplett anderen Augen sehen. Für die gute Hose oder den guten Rock gibt es ganz un-nerdige Schtzmöglichkeiten von der Kette. Und Sie müssen auch nicht das schleppen, was Sie dabei haben.
Mit freundlichem Fahrradgeklingel
Angelika Steger